Da in Verhandlungen häufig große Summen auf dem Spiel stehen, können selbst kleinste Verbesserungen der eigenen Verhandlungsergebnisse schon zu spürbaren Folgen führen. Verhandelnde versuchen entsprechend permanent auf unterschiedliche Arten und Weisen den Verhandlungsprozess und sein Ergebnis zu beeinflussen. Kaum eine Variable im Verhandlungskontext ist dabei so zentral und hat einen so unbestritten starken und eindeutigen Einfluss auf das Verhandlungsergebnis wie die Verhandlungsmacht der beteiligten Parteien.
Um bessere Verhandlungsergebnisse zu erzielen und sich vorteilhaftere Abschlüsse und Vereinbarungen zu sichern, sollten Sie die Ursprünge Ihrer Verhandlungsmacht kennen, diese optimieren und wissen, wie Sie Verhandlungsmacht effektiv nutzen können. Im Folgenden wollen wir deshalb den Fragen nachgehen, was Verhandlungsmacht ist, wie Verhandlungsmacht entsteht und zu bewerten ist und wie auch Sie es schaffen, Verhandlungsmacht zu Ihrem Vorteil einzusetzen, um bessere Verhandlungsergebnisse zu erzielen.
Übersicht
Was ist Verhandlungsmacht?
Beginnen wir am Anfang und betrachten wir zunächst die allgemeine Bedeutung von Macht: Ganz grundsätzlich ist Macht die Fähigkeit innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen (gegen einen potenziellen Widerstand der anderen Seite) durchzusetzen. Das bedeutet im Kontext von Verhandlungen, dass Verhandlungsmacht die Fähigkeit eines Verhandelnden darstellt, den Verhandlungsprozess, das Verhalten der Gegenseite und damit vor allem das Verhandlungsergebnis maßgeblich zu beeinflussen und die eigenen Ziele zu erreichen.
Was erst einmal komplex klingt, bedeutet in der Realität, dass ein Verhandlungsführer, welcher über deutlich mehr Macht verfügt als sein Gegenüber, in der Lage ist, diesen zu Entscheidungen zu zwingen, welche dieser ohne den machtbasierten Druck nicht getroffen hätte. Typischerweise wird Macht also dazu genutzt, um das Gegenüber zu Konzessionen (einem Entgegenkommen) zu zwingen.
Dabei ist Macht als soziales Konstrukt keine objektive Größe, sondern wird immer subjektiv empfunden. So kann es beispielsweise vorkommen, dass sich die eigene Partei in einer starken Machtposition sieht, während die Gegenseite der Auffassung ist, dass diese Machtposition überhaupt nicht besteht. Die eigene Macht und die Macht der Gegenseite wird dabei in der Verhandlung fortwährend, zumeist implizit, manchmal allerdings auch direkt explizit, kommuniziert, um das Verhalten der Verhandelnden zu beeinflussen.
Wie entsteht Verhandlungsmacht?
Aufgrund der großen Bedeutung von Verhandlungsmacht und den entsprechend kontinuierlichen Versuchen von Verhandelnden, das Machtverhältnis zu ihren Gunsten zu verbessern, stellt sich unweigerlich die Frage nach der Herkunft dieser Verhandlungsmacht. Denn auch wenn Macht per se als subjektive Größe stark in der Wahrnehmung verschiedener Verhandelnder variieren kann, so gibt es doch eine allgemeine Vorstellung davon, worauf Verhandlungsmacht basiert.
In der Wissenschaft wurden dazu verschiedene Modelle entwickelt, um sich diesem Sachverhalt zu nähern, wobei alle Ansätze gemein haben, dass sich die Verhandlungsmacht letztlich immer auf eine bestehende Abhängigkeit zurückführen lässt. Das heißt, je abhängiger eine Verhandlungspartei von der Gegenseite ist, desto größer ist die Macht der anderen Seite.
Beispiel:
Die Robert Müller AG verkauft als Lieferant der Automobilindustrie seit vielen Jahren große Teile ihrer Produktion an die AutoMotive AG (AMAG). Da das Wegbrechen dieses Großkunden zu einer existentiellen Krise der Robert Müller AG führen würde und diese entsprechend auf die Aufträge der AMAG wirtschaftlich angewiesen ist, hat die AMAG eine sehr große Macht und kann einen entsprechend hohen Einfluss ausüben und beispielsweise Preisreduktionen fordern.
Die Erkenntnis, dass Macht auf einer Abhängigkeit von der Gegenseite fußt, führt zu einer weiteren wichtigen Überlegung: Im Kontext von Verhandlungen ist Macht nicht nur als relatives Verhältnis zu interpretieren. Das bedeutet konkret, dass nicht nur eine Seite mächtiger sein kann, als ihr Gegenüber, sondern dass auch beide Seiten abhängig sein können oder beide Seiten unabhängig sein können.
Diese Unterscheidung ist kritisch, denn in einer Situation, in welcher beide Parteien hochgradig abhängig voneinander sind, sollte ein anderes Verhalten an den Tag gelegt werden als in einer Situation, in welcher beide Parteien vollständig unabhängig voneinander sind. Und das, obwohl in beiden Fällen in der Relation von einem ausgeglichenen Machtverhältnis gesprochen werden kann.
Je abhängiger eine Verhandlungspartei von der anderen Seite ist, desto größer ist die Macht der anderen Seite.
Wie entsteht Abhängigkeit?
Da sich Macht auf die Abhängigkeit von der Gegenseite bezieht, so stellt sich auf der Suche nach den Ursprüngen der Macht die Frage, was eine solche Abhängigkeit verursachen kann. Auch dahingehend ist sich die Verhandlungsforschung einig und definiert die Abhängigkeit über die Qualität der Alternativen zum gegenwärtigen Verhandlungspartner.
Beispiel:
Denken wir erneut an unseren Automobilzulieferer in Form der Robert Müller AG und stellen uns dieses Mal vor, dass diese nicht nur an die AMAG liefert, sondern dass sich diverse andere Automobilhersteller sowie Unternehmen aus anderen Branchen in ihrem Kundenstamm befinden.
Die Robert Müller AG wäre sicher erfreut, auch weiterhin die AMAG mit ihren Teilen zu beliefern, doch auch ein Abbruch der Verhandlung würde zu keiner existenziellen Bedrohung unseres Lieferanten führen. Die Verhandlung zwischen Robert Müller AG und AMAG würde sicher anders ablaufen, denn aufgrund ihrer geringeren Macht, kann die AMAG deutlich weniger Einfluss ausüben und ihren Lieferanten beispielsweise nicht ohne Weiteres zu Preiszugeständnissen zwingen.
Die Verhandlungsforschung hat aufbauend auf dieser Erkenntnis das Akronym BATNA entworfen, welches für „Best Alternative To a Negotiated Agreement“ steht und die beste Alternative außerhalb der bestehenden Verhandlungssituation darstellt. Dabei kann das BATNA ein anderer Verhandlungspartner sein, aber beispielsweise auch die Entscheidung zum Aufbau eigener Produktionskapazitäten oder den Wechsel zu einem Substitut bedeuten. Entsprechend hält die Verhandlungsforschung fest, dass die eigene Macht umso höher ist, je schlechter das BATNA der Gegenseite ist und die Macht der Gegenseite umso höher ist, je schlechter das eigene BATNA ist.
Neben dem BATNA gibt es noch weitere Themen, welche die Abhängigkeit der Verhandlungsparteien maßgeblich beeinflussen, wobei diese nicht zwangsläufig oder in Teilen eher indirekt mit bestehenden Alternativen verbunden sind. So kann es beispielsweise sein, dass eine Verhandlungspartei großen Wert auf bestehende Geschäftsbeziehungen legt und deshalb zwar keine ökonomischen Gründe, aber emotionale oder ethische Gründe dagegensprechen, zu einer besseren Alternative zu wechseln. Einige Wissenschaftler fordern deshalb die Beachtung dieser Größen und schlagen beispielsweise eine Unterscheidung zwischen strategischer Macht, normativer Macht und Beziehungsmacht vor. Die strategische Macht bestimmt sich dabei durch die Alternativen einer Partei, die normative Macht leitet sich daraus ab, was die beteiligten Verhandlungsparteien als fair erachten und die Beziehungsmacht definiert sich durch gleiche Präferenzen zu bestimmten Themen oder Verhandlungsgegenständen.
Dennoch sind sich Wissenschaft und Praxis einig, dass der mit Abstand größte und wichtigste Teil der Verhandlungsmacht auf die jeweiligen BATNAs der Parteien zurückzuführen sind. Entsprechend ist eine strukturierte Analyse der eigenen BATNAs sowie der BATNAs der Gegenseite eine zentrale und wichtige Aufgabe und gehört zum fundamentalen Einmaleins der professionellen Verhandlungsvorbereitung.
Wie kann ich meine Machtposition verbessern?
Da die Verhandlungsmacht einen so starken Einfluss auf die Verhandlung und deren Ergebnisse hat, wäre es doch optimal, die eigene Machtposition einfach zu verbessern, oder?
Ganz so einfach ist es leider nicht, allerdings können Sie sich mit verschiedenen Themen auseinandersetzen, um die eigene Machtposition zu verbessern. Zunächst sollten Sie die eigene Machtposition analysieren und dabei sowohl die eigene Macht als auch die Macht der Gegenseite berücksichtigen. Auf Basis der eigenen Überlegungen können Sie dann beispielsweise hinterfragen, welche Umstände die Macht der Gegenseite über Sie aufheben würden. Hierzu ist es immer ratsam, sich über mögliche Alternativen zur Gegenseite zu informieren und diese im besten Fall auch schon konkret anzufragen, bevor Sie in die eigentliche Verhandlung gehen.
Wenn Sie wissen, dass grundsätzlich eine oder mehrere Alternativen bestehen, haben Sie nicht nur automatisch ein besseres Gefühl, sondern vor allem Ihre Machtposition signifikant verbessert. Auch ein paralleles Führen von Verhandlungen mit verschiedenen Anbietern oder Nachfragen ist somit grundsätzlich zu empfehlen.
Exkurs: Wie bei allen unseren Handlungsempfehlungen sind die Hinweise universell in Ihren Verhandlungen und somit zumeist auch außerhalb eines B2B Kontextes anwendbar. So sollten Sie sich beispielsweise vor einem Vorstellungsgespräch über ihre Alternativen zum angebotenen Job klarwerden, oder vor dem Besuch des Gebrauchtwagenhändlers erst einmal die Preise für Ihr Wunschauto bei verschiedenen Anbietern vergleichen, sodass Sie wissen, wie viel teurer oder günstiger das nächstbeste Angebot ist.
Ziel der Machtanalyse ist es daher, die eigene Abhängigkeit zu erkennen und gleichzeitig auch zu überlegen, was passieren müsste, dass diese Abhängigkeit nicht mehr existiert. Sie sollten dabei vor allem versuchen sich in die Gegenseite hineinzuversetzen und überlegen, was deren Alternativen sind und ob Sie die Abhängigkeit der Gegenseite von Ihnen erhöhen oder aber zumindest eine Verringerung verhindern können.
Verhandlungsmacht als subjektive Größe
Macht ist eine subjektive Größe. Dies dürfte auch einer der Gründe sein, warum trotz der vielen Forschungsarbeiten zu Macht in Verhandlungen keine annähernd einheitliche Skala oder ähnliches existiert, wie die Macht von Verhandlungsparteien gemessen werden kann. Dies hat aber auch zur Folge, dass Macht sich sehr stark daran orientiert, was die Verhandelnden subjektiv denken und fühlen.
Beispiel:
Wir alle kennen es: Makler deuten bei der Besichtigung eines Hauses oder einer Wohnung mal mehr, mal weniger offensichtlich darauf hin, dass es bereits einige Interessenten für das Angebot gibt. Dementsprechend ist eine schnelle Entscheidung notwendig (und das vorliegende Angebot sollte unverhandelt akzeptiert werden), um das Objekt zu erwerben oder zu mieten.
Ob die „anderen Interessenten“ tatsächlich existieren oder nicht, spielt dabei primär keine Rolle. Wenn das Objekt gefällt und der Erwerb in Betracht gezogen wird, sieht der potenzielle Käufer oder Mieter eine größere Verhandlungsmacht auf der Seite des Maklers, da er die Wahl zwischen den vielen Interessenten hat. Ein Ausbrechen aus diesem Denkmuster kann selbst bei dieser offensichtlichen Manipulation schwierig sein, denn wer weiß: Vielleicht gibt es genau in diesem Fall die Interessenten doch?
EXPERTENTIPP
Häufig werden subjektive Manipulationsversuche so unternommen, dass die Verhandelnden sich dessen zwangsläufig nicht bewusst sind. Versuchen Sie daher immer, die Machtposition sowohl aus der eigenen Perspektive heraus zu analysieren als auch die Perspektive der Gegenseite einzunehmen und dabei mögliche Manipulationsversuche zu identifizieren. Die fehlende Beachtung der subjektiven Machtposition ist einer der häufigsten Fehler, die uns tagtäglich in der Praxis begegnen.
Wie setze ich Verhandlungsmacht ein?
Abschließend wollen wir uns mit dem Einsatz der Verhandlungsmacht beschäftigen. Dabei lässt sich grundsätzlich festhalten, dass die eigene Machtposition (also die Verteilung der Verhandlungsmacht zwischen den Parteien) bestimmt, welche Verhandlungsstrategien in der Verhandlung eingesetzt werden können.
Auf der einen Seite ergibt die Wahl mancher Strategien nur Sinn, wenn eine vorteilhafte Machtposition besteht, da andernfalls die Strategie nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen wird. Auf der anderen Seite kann eine nachteilige Machtposition und beispielsweise eine von der Gegenseite gewählte Konfrontationsstrategie uns dazu zwingen, eine Anpassungsstrategie zu wählen. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass eine Verbesserung der Machtposition Verhandelnden strategische Spielräume eröffnet, welche genutzt werden können, aber nicht müssen.
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Ob und wie strategische Spielräume genutzt werden, ist eine Entscheidung, die individuell und graduell getroffen werden sollte. So ist es eine ethische Frage, inwieweit die eigene Machtposition eingesetzt wird, um sich in einer Verhandlung einen Vorteil zu verschaffen. Grundsätzliche Fragen der Verhandlungsethik sind dabei für jede Organisation gesondert zu betrachten, allerdings lässt sich prinzipiell festhalten, dass bis zu einem gewissen Maß Verhandlungen immer mit gegenseitigem Druck und gegenseitigen Manipulationsversuchen einhergehen.
Gleichzeitig zeigen wissenschaftliche Untersuchungen allerdings auch, dass neben den zu erwartenden negativen Effekten für die Geschäftsbeziehung, ein zu hohes Maß an Druck und ein zu starkes Ausnutzen der eigenen Machtposition häufig zu ineffektiven und suboptimalen Ergebnissen führt. Neben der Verhandlungsethik ist es aber vor allem wichtig, dass Sie eine einheitliche Verhandlungsstrategie entwerfen und Mittel und Wege finden, wie Sie diese strukturiert und authentisch umsetzen.
Insbesondere Maßnahmen wie das Power Based Negotiating, eine ausgeprägte Form der Konfrontationsstrategie, in welcher wir die eigene Machtposition sehr direkt und nachdrücklich kommunizieren, setzt eine hohe Konfliktbereitschaft voraus. Dies kann schüchternen oder introvertierten Personen in Verhandlungen durchaus schwerfallen. In diesen Fällen ist es häufig sinnvoller, eine weitere Person in das Verhandlungsteam aufzunehmen, um die nötige Konfliktbereitschaft mit an den Verhandlungstisch zu bringen.
Alternativ kann auch die Konfrontationsstrategie so abgeschwächt beziehungsweise angepasst werden, dass die eigene Dominanz eher in subtilen und impliziten Maßnahmen kommuniziert wird, als diese in aggressiven Taktiken umzusetzen. So können Sie beispielsweise über die Wahl des Verhandlungsortes, der Uhrzeit und anderer Begleitumstände bereits subtile Nachrichten an das Gegenüber übermitteln, um die eigene Machtposition und Ihre Erwartungshaltung zu unterstreichen.
Verhandlungsmacht ist allgegenwärtig
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Verhandlungsmacht eines der wichtigsten Themen der Verhandlungsführung darstellt. Wir empfehlen Ihnen daher unbedingt eine Analyse der Machtposition zu Beginn der Verhandlung durchzuführen und Ihre Position stetig auf operativer und strategischer Ebene zu verbessern. Beim Ausspielen der eigenen Macht sollten Sie zusätzlich zu grundsätzlichen ethischen Fragen auch die langfristigen Folgen für die Geschäftsbeziehung sowie die eigene persönliche Eignung bei der Ausrichtung der Verhandlungsstrategie bedenken.
Macht spielt immer eine Rolle, denn Verhandlungen gehen immer mit einem gewissen Maß an gegenseitigem Druck und gegenseitigen Manipulationsversuchen einher.
Sie möchten wissen, wie Sie Ihre Machtposition schnell und effizient analysieren können und die richtigen Schlüsse für Ihre Verhandlungsstrategie aus diesen Analysen ziehen? Kontaktieren Sie uns gerne und wir helfen Ihnen im Rahmen eines Coachings, einer spezifischen Verhandlungssituation oder in einem unserer Grundlagenseminare die jeweiligen Techniken zu erlernen.
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